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Über das Umkreisen existentieller Schwebezustände

– Christoph Tannert

Was uns das da capo des Lebens verweigert, schenkt uns die Kunst von Blonay Fuchs: empfindlichste Farbpoesie, ein Spiel aus Wärme und Licht, himmeloffen, weich, einladend, schön. Aus dem bloßen Effekt zur Gestalt verdichtet, komponiert mit einer sicheren Einfühlungsgabe für spannungsvoll stehende Zeit- und Raumverhältnisse. Spirit of reality. Dargeboten mit einem Energiepotenzial, das Ausnahmequalität hat. Folgerichtig knüpft der Künstler an die besten Traditionslinien des 20. Jahrhunderts an. Fuchs weiß, dass Fuchs genauso von Sinnlichkeit und Überredung, von Augenreiz, bildnerischem Fluss und direkter Betrachteransprache lebt.

Blonay Fuchs’ Werke locken wie fremde Blüten. Sie haben eine fast natürliche Frische, Fasslichkeit, sie strahlen etwas rundherum Zugängliches aus, scheinen das Publikum zur Zustimmung zu überreden, ihm etwas zuzuflüstern, statt sich im Experiment als Selbstzweck zu verlieren. Fuchs belegt eindringlich, dass nach all den Attacken auf Form- und Sinnzusammenhänge im 20. Jahrhundert Bilder der Balance und Ausgewogenheit noch möglich sind. Er beweist, dass Kunst stärker ist, wenn ein Künstler mit ihr etwas kreiert und nicht abschafft. Sein bisheriges Werk hat etwas Allumgreifendes. Es vereint in sich Denken und Fühlen, Reflexion und Emphase. Farbe wirkt in der Malerei als innere Musik einer Durchquerung vergegenwärtigter Erinnerungslandschaften und Innenwelten.

Kunst ist heutzutage oft ein Durchgangsort der technisch entzauberten Moderne. Nicht bei Fuchs, der sich ganz bewusst in den Chor derer einreiht, die die Kunst mit dem magischen Moment des Aufbruchs verbinden. Befreit von der alten Orthodoxie ist hier von Traditionalismus keine Spur. Andere vertrocknen auf ererbter Scholle. Blonay Fuchs widersetzt sich der Nötigung zu getreuer Naturwiedergabe und stellt ihr eine vom Naturvorbild abstrahierte Gestalt entgegen, deren deutliche Korrespondenz zur Flächigkeit des Bildes eine Sensibilität erkennen lässt, die sich aus der Verehrung der Gnadenbilder der orthodoxen Kirchen ebenso speist wie aus künstlerischen Anschauungen, die Wert darauf legen, das Innere, das Seelische im Auge zu konzentrieren.

Paar, 2014
Paar, 2014
Adam, 2014
Adam, 2014

Die für diesen Band vorgenommene Werkauswahl schlägt einen Bogen von den 1980er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart. Während die Gegenwartskunst, am Kreuzweg stehend, von an- und abschwellenden Wellen des Affekts und der Empathie beherrscht wird, spüren wir in den Werken von Fuchs ein traumwandlerisches Schwingen, das nicht aus dem Widerstreit, vielmehr aus der Wohltemperiertheit des Ausgleichenden lebt. In den Formanlagen wird nicht dominiert, eher ponderiert der Künstler aus, was er sieht, was ihm widerfährt und ihn berührt: die Zyklen des Lebens und der Natur, das Wirken der Gestirne, das Maß kraftvoller Stille, das Labyrinthische seelischer Abläufe – mit Blick auf Zeit, Raum, Ewigkeit. Es sind die beiden mit Begriffen aus der alten chinesischen Philosophie gut zu benennenden Urkräfte Yin und Yang, die in ihrer Vernetzung das Potenzial der Lebensenergie ausmachen und im Werk von Blonay Fuchs ein ganzes bildkünstlerisches Universum dynamisieren. Dadurch wird ein Hiersein der Bilder fühlbar, eine tatsächliche Präsenz. Negativ- und Positiv-Formen, Ausgespartes und Gefülltes ruhen ineinander und strahlen eine Sicherheit aus, die jedes Werk zum Ereignis macht, das nicht seinesgleichen hat. 

Werke, die Teile von Zyklen oder Reihen sind, verhalten sich zueinander wie Zeugen eines Ablaufs, zwischen denen ein zeitlicher Abstand herrscht, die sich aber trotz der Differenz im Vorher und Nachher ähnlich sind in der Erfüllung des Themas und hre Präsenz mal leichter oder mal fundamentaler in den Raum tragen. Mit jedem Werk steigt der Künstler in einen neuen Entwurf zum gleichen Thema ein und unterstreicht damit, dass Innovation und Kontinuität zusammengehören und künstlerische Meisterschaft sich gerade auch durch Permanenz und Wiedererkennbarkeit auszeichnet. 

Als Beispiel mag hier Fuchs’ Zyklus Menschenbäume dienen, entstanden zwischen 2012 und 2016, eine Reihung von 25 Werken, allesamt schlanke Hochformate in Überlebensgröße von ca. 230 cm [z. B. Paar (2014) / Adam (2014) / Keim (2015) / Caprice (2016)]. Blonay Fuchs entwickelt Modelle, um nuancenreich über die ineinandergeblendeten Themen Mensch und Natur, das Menschliche und das Natürliche, in Vielfalt und diversen Brechungen mit Bezügen zu Identität, Selbstausdruck und Emotion zu reflektieren. Diese Modelle mit ihrer Vertikalorientierung sprechen vom inneren Himmel des Künstlers, jedes Bild ein weiterer Planet, in die Welt gestellt, um in Richtung des Unausgesprochenen zu deuten. 

Eine der großartigen Behauptungen Martin Heideggers lautet: 

 

„Jeder große Dichter dichtet nur aus einem einzigen Gedicht. […] Das Gedicht eines Dichters bleibt unausgesprochen.“ 

 

Das heißt: Weder ein einzelnes Gedicht noch das gesamte dichterische Werk vermögen alles zu sagen. Nichtsdestotrotz besitzt das eine unausgesprochene Gedicht die Macht, den Quell für ununterbrochen neue Wogen der Sprache zu bilden, die ihrerseits, die Quelle verschleiernd, zurückfließen. Aus diesem Gleichgewicht lässt sich auch das in den Blick nehmen, was Blonay Fuchs als ästhetische Wegzehrung in seinem Bilder-Zyklus bereithält. Es zeigt sich, wie beharrlich und schwungvoll er mit den Mitteln seines lyrischen Expressionismus die Vorräte der künstlerischen Sprache immer wieder auffüllt, wie er Atem holt und mit dem Manna der Ahnung an seinem einzigen Gedicht weiterdichtet. 

Entbrannt, 2005
Entbrannt, 2005

Die für Fuchs typische Trias aus Beobachtung, Sinnesverfeinerung und Resonanz in Bezug auf die Dualität von Mann und Frau bringt ein vielfältiges Ensemble von weiblichen Akt- und Paardarstellungen, von Liebenden, hervor [z. B. Umschlungen (2015) / Kuss (2000) / Entbrannt (2005)]. Inhaltlich passen dazu auch einige der filigranen Faltschnitte aus Karton oder Papier. Sie alle folgen dem Primat der Behutsamkeit und weniger der Verkörperung. Es sind die Andeutungen von Metamorphosen und die in sanft abstrahierte Binnenformpartikel gebrachten Konstellationen, die Blonay Fuchs’ Bilder diverser Zartheitsgrade zu Tafeln der Fragilität werden lassen.

Der Charme, der von Fuchs’ Werken ausgeht, ist stark und nachhaltig. Das betrifft seine Malerei, seine Zeichnungen und Druckgrafik ebenso wie seine Plastiken. Alle Werke legen Zeugnis davon ab, wie der Künstler sich als Einzelner mehr und mehr ermittelt und wie er nach Erfüllung sucht in einem Gegenüber, in einer Beziehung zu einem anderen Menschen und/oder zur Natur. Alles, was ihn
umgibt, als auch das, was künstlerisch geäußert wird, ist Teil eines unaufhörlichen Umgangs des Künstlers mit sich selbst und damit zwangsläufig die Geschichte eines Vereinzelungsprozesses mit allen seinen Konsequenzen, seinen Verlusten wie seinen Entrückungen und dem Sich-Wiederfinden im anderen. Jede Antwort aus dieser anhaltenden Verwandlung ist materialisiert in Farbe, in Form, ist Figur, ist Landschaft, Anordnung, Regung, Flüstern, Seufzen und die Gewissheit, dass alles in diesem Leben vergänglich ist.

Aufgewachsen in behüteten Einzelkindverhältnissen verbrachte Fuchs viel Zeit im Garten der Familie am Tegeler See in Berlin unweit des Humboldt-Schlosses und in der freien Natur. Das hat ihn geprägt. Erde, Pflanzen und Bäume, so schien ihm, waren nur für ihn da, wie die Sonne, die Sterne, die Nacht, die Ewigkeit. Als Künstler nimmt Fuchs in allem Säen, Keimen und Wachsen Heimat. Er schmiegt sich mit seiner Individualität, mit dem, was an ihm einzigartig ist, ein in den Kreislauf des Lebens. Gerade weil Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung nach Einschätzung führender Wissenschaftler möglicherweise noch in diesem Jahrhundert zu einem unwiderruflichen Kollaps des globalen Ökosystems führen könnten, ist man geneigt, die Werke von Blonay Fuchs als Reservate für solche Vorgänge zu interpretieren, als letzte Paradiese vielleicht, verknüpft mit der Fragestellung, welche Sicht auf die Natur als Gegenstand, als Stoff, als Thema heutzutage überhaupt noch angemessen ist.

Nocturne, 1999
Nocturne, 1999
Liebende, 2012
Liebende, 2012

Weil das Leben eine Farce ist, genießt Fuchs es in vollen Zügen. Sogar wenn das Menschenbild bei ihm eine Reduktion erfährt oder Anzeichen für eine Neuorganisation artikuliert, ist es nicht verschwunden. Der Betrachter staunt über das Geschick des Künstlers, seinen Formhaushalt zu modulieren, auch über die Modernität und Frische seines Gestaltungswillens, mit dem er beispielsweise Landschaften nie als naturalistische Ansicht präsentiert, sondern schlüssig in zupackender Umsetzung eines Naturprinzips, etwa durch dünnen Ölauftrag auf grober grundierter Jute. Es gibt Bilder [z. B. Nocturne (1999) / Abend (2000) / Symmetrie und Freiheit (2016)], in denen fahndet Fuchs regelrecht nach dem Widerständigen, dem Körnigen, das nichts anderes intendiert, als seine strukturelle, freskohafte Wesenheit zu offenbaren. Fasziniert vom Stofflichen betont Fuchs:

 

„Das Körnige bremst mich, hat etwas von Erde und Widerstand und atomisiert die Bildfläche.“

 

Blonay Fuchs reist gern und viel. Zu reisen ist eine seiner Absagen an die alte, konfrontative, allzu enge Welt. Seine Traumdestination freilich enthüllt ihre Spezifika auf Canson-Papier. Es sind die unendlich vielen Pastelle, die uns die Welt, Fuchs’ Welt, scheinbar völlig neu zeigen und allem einen großen Rahmen gibt. Möglichst viele intensive Erfahrungen sind das Allerwichtigste im Leben. Jede Zeichnung, jede Linie ist bei Fuchs ein Zeichen, das er gegen die Leere setzt, eine Markierung, um nachzusinnen, eine Tagebucheintragung, mit der er aus der Schnelllebigkeit ausbricht und Rückschau hält. Fuchs reist und nimmt dabei alles auf, was er in den Strom seines Bewusstseins einspeisen kann. Sein Schatz an Pastellen ist eine riesige Melange aus Aufzeichnungen und Andenken, Reminiszenzen an Orte und Architekturen, Objekte, Ornamente, Landstriche – eine Lebensbildergeschichte des Unterwegsseins. Es geht dabei um den Versuch, den Genius Loci und die Seele aufeinander zu beziehen, bildlich einzuhegen und zu abstrahieren. Fuchs tut das einzig Sinnvolle: Er lässt sich überwältigen, um hernach das große Chaos in Geist und Gefühl irgendwie sanft im Jetzt und im Heute einzuzäunen.

 

Blonay Fuchs‘ Werk ist im Umkreisen existenzieller Schwebezustände variationsreich und komplex. Als Gegenpol zu den regellosen Verhältnissen in einer Welt in der Krise, die, von Kapitalismus und Globalisierung gesteuert, zunehmend den Verlust ihrer Kultur zu beklagen hat, bekommt man bei ihm malerische, zeichnerische und plastische Bildkondensate zu sehen, in denen sich die Gewissheit spiegelt, dass uns keine andere Möglichkeit bleibt, als die Alltäglichkeiten des Diesseits zu befürworten. Darüber hinaus lässt Fuchs in uns Vertrauen wachsen in unser naturzugewandtes eigenes Sehen und Erleben, das uns mit Vergnügen im Niedersten das Höchste vor Augen führt.